Reise nach Tsukuba
Der Tag fängt früh an. 5 Uhr aufstehen, damit ich meiner Schwester auf Wiedersehen sagen kann, bevor Sie zur Arbeit fährt. Das ist das Mindeste, wenn ich schon an Ihrem 17. Geburtstag auswandere.
Zunächst muss ich nach Frankfurt zum Flughafen kommen. Das Papa-Taxi fährt - seit je her und wie immer pünktlich und zuverlässig. Vorher noch bei Mama verabschieden, die das ganze mit deutlich mehr Fassung trägt als vor 6 Jahren bei meinem Auszug zum Studium. Meine kleinste Schwester fährt im Auto mit, weil Sie auf einen Schulausflug fährt. Allerdings hat Sie ähnlich viel Gepäck wie ich. Am Bahnhof strömen die morgendlichen Pendler bereits in Massen in den abfahrbereiten Zug. Ich verabschiede mich von Papa und meiner Schester und steige ein. 7:05 Uhr, der Zug rollt an. An weiterschlafen ist nicht zu denken. Bin zwar müde, aber viel zu aufgeregt.
In Nürnberg umsteigen und dann 2,5 Stunden bis zum ersten Ziel. Wegen technischer Störungen und einem Zug der uns die Einfahrt in einen Bahnhof versperrt, komme ich mit leichter Verspätung (20 min) um kurz nach 10 Uhr in Frankfurt an. Ist aber zum Glück kein Problem, da mein Flieger erst um kurz vor 14 Uhr abhebt.
Als nächstes das Gepäck aufgeben. Ein Reisekoffer und als Handgepäck eine Sporttasche. Ich hiefe den Koffer auf die Gepäckwaage und werde sofort traurig von der Dame am Schalter angesehen. “Sie wissen, dass das zu schwer ist? Haben Sie noch eine weitere Tasche auf die Sie etwas Gewicht umverteilen können?”, fragte Sie. War mir natürlich bewusst, hab Ihn ja vorher gewogen - 32,5 Kilo. Ich gab ihr mein ausgedrucktes Ticket und Sie zog die Augenbrauen hoch und sagte: “Das stimmt ja nicht was hier steht. Sie haben 2 Gepäckstücke frei.” Ja dann packe ich natürlich um. Praktisch, dass ich einen leeren Rucksack mit dabei habe. Also das mindeste aus der Sporttasche raus und in den Rucksack. Koffer auf und die oberste Schicht noch auf die Sporttasche drauf. Zurück zur Waage und … passt perfekt. 22,5 kg im Koffer und 10 kg in der Sporttasche. Die Dame am Schalter nickt sichtlich zufrieden und ich bin erleichtert, dass ich nichts für Übergewicht bezahlen muss. Läuft alles besser als geplant.
Keine besonderen Vorkommnisse bei der Kontrolle des Handgepäcks. Ist eh fast nur Elektronik. Bei der Sicherheitsschleuse probiere ich die automatische Kontrolle für EU-Bürger aus. Einfach den Reisepass zum Scan auflegen und die erste Türe öffnet sich. Dann wird nochmal ein Foto gemacht und die zweite Tür entlässt mich in den Duty-Free Bereich und gibt den Blick aufs Rollfeld frei.
Ich schlendere noch etwas durch die Läden, esse eine Kleinigkeit, chatte mit Freunden, rufe zu Hause an, um zu sagen, dass alles super läuft und schaue den Flugzeugen bei Start und Landung zu, ehe mein Flug von Air China zum Einsteigen ausgerufen wird.
Im Flugzeug ist der Plan relativ klar. Schlaaafen! So viel und so lange wie möglich. Aber bevor ich damit anfange, schaue ich noch “Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind”. Währenddessen wird die erste Mahlzeit serviert, Bratwurst mit Sauerkraut und Kartoffelbrei. Schon irgendwie sehr Deutsch. Die zweite Mahlzeit ungefähr 5 Stunden später und irgendwo über Russland bei -58 Grad Außentemperatur ist Reis mit Schweinefleisch. Das mit dem Schlafen dazwischen klappt eher mäßig. Ich kann zwar die Füße unter den leeren Sitzen vor mir ausstrecken, aber selbst mit zurückgelehntem Sitz keine gute Schlafposition finden. Mein Sitznachbar hat ähnliche Probleme. Am ende liege ich auf dem Auslapptisch mit der Decke über dem Kopf.
Wenigstens musste ich Dank meinem Platz am Fenster nicht aufstehen, um meine Nachbarn aufs Klo oder zum Spazieren rauszulassen. Ich bin nur einmal aufgestanden, weil ich Taschentücher aus meinem Handgepäck holen wollte. Ausgerechnet dabei stoße ich mir die Zehen an einer Halterung für die Sitze. Aua! Das gibt einen blauen Fleck.
Gegen 22 Uhr landet Das Flugzeug in Peking. Dort ist es erst 5 Uhr und der Morgen dämmert. Der Wechsel von der Ankunfts in die Abflughalle ist zäh, da um diese Uhrzeit die Sicherheitsschalter kaum besetzt sind. Es scheinen 3 Leute für die Insassen von 4 Flugzeugen zuständig zu sein. Nach geschlagenen 1,5 Stunden bin ich endlich durch die Schlange vor der Ankunftsabfertigung durch. Dann kommt noch die Sicherheitskontrolle, um wieder in den Abflugbereich zu gelangen. Die chinesischen Polizeibeamten sind sehr gründlich und tasten alle Fluggäste ab. Das dauert zum Glück nicht mehr so lange, da plötzlich alle Schalter (inzwischen ist es fast 7 Uhr) besetzt sind. Draußen ist es hell genug und der Blick aus dem Flugzeug bestätigt sich. Smog.
Am Gate für den Weiterflug steht ein Schild, dass empfindliche Personen vor schlechter Luft warnt. Bis zum Abflug dauert es noch bis 9:55 Uhr (3:55 Uhr in Deutschland). Im sitzen kämpfe ich 1 Stunde vergeblich gegen das Einschlafen. Immer wieder kippt der Kopf nach vorne und ich schrecke auf. Um wach zu bleiben, laufe ich auf Transportbändern gegen die Laufrichtung auf der Stelle. Das Reinigungspersonal muss mich für völlig bescheuert gehalten haben. Als mein Flug ausgerufen wird, steigen alle Passagiere in einen Bus, der uns aufs Rollfeld zur Maschine bringt. Diesmal verfolge ich das entgegengesetzte Ziel. “Wach bleiben!” lautet die Devise. Ich versuche mich an einigen Sudoku. Dazwischen wird wieder Essen serviert. Diesmal Reis mit Schweinefleisch. Der zweite Teil der Reise vergeht wie im Flug. (Ha Ha!)
13:55 Uhr japanischer Ortszeit (+1h gegenüber Peking und +7h gegenüber Deutschland, da ist es gerade 6:55 Uhr) landet das Flugzeug auf dem Internationalen Flughafen Narita - Tokio. Es ist mit 17 Grad angenehm warm und die Sonne scheint. Am Ankunftsschalter mal was neues, wieder eine Schlange. Es geht zügig vorran. Als ich endlich vor dem Schalter stehe und meinen Reisepass mit dem Visum übergebe, wird der Angestellte einen kurzen Blick hinein und ruft einen Kollegen, der aufgeregt herbei eilt. Er bringt mich zu einer anderen Warteschlange, scheinbar alles Studenten. Der junge vor mir kommt aus dem Schwarzwald für einen 1-jährigen Work-And-Travel Aufenthalt. Nach weiteren 30 Minuten warten bin ich endlich wieder vor einem Einreisebeamten. Ich bekomme sowas wie einen japanischen Personalausweis gedruckt (wahrscheinlich auch der Grund warum wir in eine extra Schlange eingereit wurden) und darf passieren. Noch fix das Gepäck abholen und dann raus. Am Ausgang wartet eine Menge von Menschen die Namensschilder hochhalten. Ich werde nicht abgeholt, war auch nicht abgemacht. Auf der Suche nach einer Wechselstelle fällt mir eine Station auf die Busfahrkarten verkauft. Aus der Ferne suche ich nach einem Bus nach Tsukuba und werde fündig. Der nächste Bus fährt um 16:10 Uhr. Genug Zeit um meine mitgebrachten Euros in Yen zu wechseln. Also zur Wechselstelle. Der Tageskurs liegt bei 1:115, damit bekomme ich 56.697 Yen für meine 490 Euro. Das Busticket schlägt mit 2.200 Yen, etwas über 19 Euro, zu buche. Die Haltestelle ist praktischerweise direkt vor dem Ausgang des Flughafens. Kaum bin ich draußen, werde ich von hinten angesprochen. Ich drehe mich um und sehe eine Kamera. Eine Japaner redet einige Sätze Japanisch, dann wendet sich eine junge Japanerin an mich und erklärt mir auf English, dass Sie vom Fernsehen seien und ob ich Einverstanden wäre als Neu-Eingereister ein paar Fragen zu beantworten. Klar warum nicht, muss sowieso noch auf den Bus warten. Das ganze dauerte knapp 10 Minuten. Was mich nach Japan bringt, was ich hier studieren werde, an welcher Universität ich bin, wie lange ich bleibe und ob ich mich neben dem Studium noch für etwas anderes in Japan interessiere. Am Ende wünschen Sie mir viel Erfolg für mein Studium, einen guten Start in Japan und verabschieden sich, wobei der Reporter schon das nächste “Opfer” ausfindig gemacht hat und der Übersetzerin und dem Kameramann den Weg deutet. Als die drei weg sind, wende ich mich wieder der Bushaltestelle zu. Gerade hält ein Bus und mir fallen 4 Männer in Trainingsanzügen und einem Umhängeausweis auf, die dafür zuständig zu sein scheinen das Gepäck der Fahrgäste einzuladen. Die Fahrgäste zeigen Ihr Ticket und jedes der Gepäckstück erhält eine Nummer umgebunden und wird verladen. Vor der Haltestelle gibt es wieder Schlangen. Eine für den aktuellen Bus und eine zweite für den nächsten Bus, wobei die Leute aus der zweiten Schlange an den Beginn der ersten dürfen sobald diese im Bus verschwunden ist. Mein Bus kommt als Übernächstes, also werde ich mich mal in die zweite Schlange einreihen. Ich lasse noch eine junge Frau mit einem großen Reisekoffer vor, worauf Sie sich auf Deutsch bedankt. Wir kommen ins Gespräch und verbringen die Busfahrt gemeinsam. So erfahre ich, dass Sie Stefanie heißt, aus Düsseldorf kommt und für einen Forschungsaufenthalt während Ihrer Doktorarbeit für knapp 3 Monate ebenfalls an der Universität Tsukuba ist. Die 1-stündige Fahrt vergeht schnell und am zentralen Busbahnhof von Tsukuba trennen sich unsere Wege vorläufig. Wird schon nicht so schwer sein sich wiederzufinden. Ich lasse mein Gepäck aus dem Bus laden und marschiere etwa 10 Minuten zu meiner Unterkunft. Dort muss ich ein Anmeldeformular ausfüllen und eine Kopie von meinem Reisepass machen lassen.
Endlich im Zimmer angekommen, lasse ich alles stehen und mich erstmal aufs Bett fallen. Ein paar Minuten später sitze ich mit dem Handy im Foyer, um an WLAN zu kommen, mich kurz bei Familie und Freunden zu melden und für den nächsten Tag einen Termin mit einer Uni-Angestellten per E-Mail zu verabreden. Nach einer Weile gesellt sich ein netter Mann zu mir und meint ich sähe hungrig aus. Erst jetzt fällt mir auf, dass mein Magen tatsächlich ziemlich laut knurrt. Der Mann gibt mir eine Banane und meint er könne mit mir in die Stadt gehen und zeigen wo ich etwas zu essen bekomme. Dieses Angebot kann ich nicht ablehnen und stimme zu. Es ist bereits kurz nach 19 Uhr und die Sonne ist untergegangen. Der Weg ins Zentrum ist ohne Gepäck deutlich angenehmer und gefühlt auch kürzer.
In der Restaurantmeile eines Einkaufszentrums fällt die Wahl auf Nudeln. Der Weg zurück fällt mir schon etwas schwer. Als ich ins Zimmer komme, ist es kurz nach 21 Uhr. Ich falle wie ein Stein ins Bett und schlafe direkt ein. Das waren anstrengende 33 Stunden.